IV-Hilfsmittel: Sparpotenzial noch lange nicht ausgereizt
Die Invalidenversicherung reduziert und streicht Renten – und spart damit auf dem Rücken der Versicherten. Mit den Herstellern von Hilfsgeräten jedoch ist sie grosszügig.
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saldo 10/2010
24.05.2010
Letzte Aktualisierung:
25.05.2010
Gertrud Rall
Die IV geht an Krücken. Dies nicht zuletzt wegen der überteuerten Preise für medizinische Hilfsmittel. Rund 300 Millionen Franken gaben die Sozialversicherungen 2009 dafür aus. Bei insgesamt 140‘000 IV-Hilfsmittel-Bezügern sind dies im Schnitt rund 2100 Franken pro Person.
Diese hohen Preise für Hilfsmittel haben hausgemachte Ursachen. Die IV definiert über Tarifverträge, Höchstbeträge und Pauschalen die Preise dafür. Da...
Die IV geht an Krücken. Dies nicht zuletzt wegen der überteuerten Preise für medizinische Hilfsmittel. Rund 300 Millionen Franken gaben die Sozialversicherungen 2009 dafür aus. Bei insgesamt 140‘000 IV-Hilfsmittel-Bezügern sind dies im Schnitt rund 2100 Franken pro Person.
Diese hohen Preise für Hilfsmittel haben hausgemachte Ursachen. Die IV definiert über Tarifverträge, Höchstbeträge und Pauschalen die Preise dafür. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schätzt das Sparpotenzial auf 35 bis 50 Millionen Franken.
Hörgeräte: Kosten wären auf 400 Franken reduzierbar
Bei Hörgeräten hofft das BSV, den Preis von heute 1400 Franken auf noch gut 900 Franken senken zu können. Dies ist immer noch grosszügig: Die deutsche Krankenkasse AOK kalkuliert schon heute mit einem Festbetrag von 600 Franken pro Hörgerät. Ein neuer Anbieter in der Schweiz, die Firma Sonetik, schafft es gar, über die Amavita-Apotheken Hörgeräte für 400 Franken anzubieten.
Innerhalb der medizinischen Hilfsmittel stellen Hörgeräte und Rollstühle die grössten Kostenblöcke der Sozialversicherungen dar. Mit insgesamt 140 Millionen belasteten sie 2009 das Gesamtbudget zu fast 50 Prozent. Doch was ist mit der anderen Hälfte der Ausgaben? Über 37 Millionen gaben die Sozialversicherungen im letzten Jahr allein für orthopädische Schuhe sowie deren Änderungen und Schuheinlagen aus.
Auch hier gibt es Sparpotenzial. Während IV und AHV 2009 im Schnitt rund 4600 Franken pro Bezüger für orthopädische Massschuhe ausgaben (diese Summe umfasst maximal zwei Paar Schuhe), kann man sich beim Orthopädiefachgeschäft in Deutschland ein Paar orthopädische Massschuhe für rund 1360 Franken anfertigen lassen.
Für orthopädische Spezialschuhe von Hersteller Künzli zum Beispiel gaben die Schweizer Sozialversicherungen letztes Jahr 1120 Franken pro Bezüger aus. Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland kosten die Spezialschuhe im Sanitätsfachhandel für Einzelkunden im Schnitt aber nur rund 700 Franken.
Laut Ursula Schneiter, Produkteverantwortliche Hilfsmittel des BSV, erhalten IV-Versicherte pro Jahr nicht nur ein Paar: «Als Erstlingsausstattung werden zwei Paar Schuhe finanziert, eins für den Winter, eins für den Sommer. In den Folgejahren wird geschaut, ob wirklich zwei Paar neue Schuhe nötig sind. Es gibt jedoch immer wieder den Fall, dass Orthopädiehändler dem IV-Versicherten automatisch ein zweites Paar Schuhe im Jahr zuschicken.»
7,5 Millionen Franken im Jahr für Perücken
Ein anderes Beispiel für überrissene Preise im Hilfsmittelmarkt: Perücken. Rund 7,5 Millionen Franken mussten die Sozialversicherungen im letzten Jahr dafür berappen, 1380 Franken pro Bezüger. Die Anbieter reizen auch hier den Höchstvergütungssatz aus, der bei 1500 Franken pro Jahr liegt.
Zum Vergleich: Die AOK zahlt höchstens umgerechnet 350 Franken pro Perücke. Auf diese Preisdifferenz angesprochen, meint BSV-Sprecher Harald Sohns: «Der geltende Höchstvergütungsbetrag scheint aus heutiger Sicht tatsächlich zu hoch. Es wird aktuell überprüft, ob und wie stark er gesenkt werden könnte.»
Die Anbieter von medizinischen Hilfsmitteln können in der Schweiz offenbar fast jeden Preis verlangen – ohne dass sie jemand kontrolliert. Dienstleistungspauschalen, Individualanfertigungen etc. verhindern die nötige Transparenz nicht zuletzt auch für die Versicherten. Oft haben diese nicht einmal Einsicht in die Rechnung, da diese direkt vom Verkäufer an die Versicherung geschickt wird.
Immerhin beginnt jetzt erneut der Preisüberwacher – wie bereits einmal 2003 –, die Preise für Hilfsmittel zu hinterfragen. Preisüberwacher Stefan Meierhans: «Wir führen zurzeit einen Auslandspreisvergleich zu Hörgeräten durch, um damit allfällige Preisüberhöhungen in unserem Land zu identifizieren.» Für die übrigen Hilfsmittel-Kategorien hat aber auch der Preisüberwacher die Auslandspreise bisher noch nie verglichen.